Brustkrebs-Vorsorge

Mehr Schaden als Nutzen?

Wer von seinem Arzt die Diagnose Krebs erfährt, für den gerät das Leben aus den Fugen. Die Angst vor einem qualvollen Tod, schmerzhafte Therapien und das Gefühl, nur noch auf Abruf zu leben. Viele Menschen setzen ihre Hoffnung daher auf Früherkennung und Vorsorgeuntersuchungen. Jährlich nehmen Millionen Frauen am sogenannten Mammographie-Screening teil, einem flächendeckenden Programm zur Früherkennung von Brustkrebs. Vor über zehn Jahren wurde dieses Screening bundesweit eingeführt, beschlossen vom Bundestag, um die Zahl der Brustkrebstoten zu minimieren. Doch von Anfang an gab es auch Warnungen, die flächendeckende Früherkennung könne möglicherweise mehr schaden als nützen. Jetzt gibt es neue internationale Untersuchungen, und neue Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Mammographie-Screenings.

Bild:Brustkrebs-Vorsorge-Mehr Schaden als Nutzen?Mammographie-Screening zur Früherkennung von Brustkrebs. Millionen von Frauen zwischen 50 und 69 lassen ihre Brüste durchleuchten, um schon ganz kleine Tumoren im Frühstadium zu finden. Ein gesundheitspolitisches Großprojekt, 2002 mit dem ausdrücklichen Willen der Politik über alle Parteigrenzen hinweg beschlossen. Seit 2003 fahren sogar mobile Screening-Busse selbst in die entlegensten Winkel des Landes. Die gesetzlichen Krankenkassen kostet das systematische Screening jedes Jahr 220 Millionen Euro. Und die Frauen vertrauen darauf. Prof. Alexander Katalinic, Universität Lübeck: „In Deutschland sterben jedes Jahr etwa 18.000 Frauen an Brustkrebs. Und hier bietet die Mammographie eine Chance, den Brustkrebs früher zu entdecken und damit auch die Sterblichkeit zu senken.“ Pro 1.000 Frauen - so heißt es auf der Internetseite der Deutschen Mammographie-Screeningstelle - gebe es in 20 Jahren sieben bis neun gerettete Leben. Doch stimmen diese Zahlen? Hier in der Schweiz hat man das jetzt genau nachgeprüft. Auch hier wird Frauen das Mammographie-Screening angeboten. Und die Resonanz ist groß. Eine unabhängige Expertengruppe um den Sozialmediziner Peter Jüni, das Swiss Medical Board, hat nun die wichtigsten weltweit verfügbaren Studien neu ausgewertet. Und kommt zu dem Schluss, das Screening nütze vielleicht gar nichts und habe statistisch möglicherweise noch nicht ein einziges Leben gerettet. Prof. Peter Jüni, Universität Bern: „Das Fazit unserer Gruppe war und bleibt so bestehen, das systematische Mammographie-Screening-Programm mit zentral versandten Einladungen, periodisch alle zwei Jahre, dass diese Programme gestoppt werden sollten, weil der Schaden den Nutzen aus unserer Perspektive aktuell klar überwiegt.“ Der Schaden größer als der Nutzen, bei einer Früherkennung, wie kann das sein? Hunderttausende Frauen wurden in weltweiten Studien untersucht. Die eine Hälfte wurde zum Mammographie-Screening geschickt, die andere nicht. Das Ergebnis des Vergleichs: Von 1.000 Frauen, die zehn Jahre lang zum Screening gingen, starben vier an Brustkrebs, in der nicht gescreenten Gruppe fünf. Die Schweizer Wissenschaftler aber zeigen, dafür stirbt in der Screeninggruppe eine Frau mehr an einer anderen Todesursache. Warum? Prof. Peter Jüni, Universität Bern: „Einerseits wissen wir, dass Mammographie-Screening Schäden anrichtet durch Überdiagnosen, und dadurch auch Überbehandlungen und eine der Erklärungen ist, dass diese Schäden eben auch zu vermehrten Nicht-Brustkrebs-Todesfällen führen. Zum Beispiel zu vermehrten Herzinfarkten oder auch zu vermehrten Lungenkarzinomen aufgrund der Strahlenbelastung, die bei Frauen auftreten können, welche dann Strahlentherapie kriegen für überdiagnostizierte Karzinome.“ Besonders problematisch aber, bis zu zehn Frauen werden pro 1.000 gescreenten Frauen unnötig behandelt. Denn die Mammographie findet auch harmlose, langsam wachsende Tumoren, die auch ohne Behandlung nie eine Bedrohung dargestellt hätten. Behandelt werden sie aber wie jeder Krebs. Mit Therapien, die auch zu einer höheren Sterblichkeit führen können. Prof. Peter Jüni, Universität Bern: „Das sind gesunde Frauen, denen tatsächlich gesagt wird, Sie haben Brustkrebs, es tut mir leid. Mit allen Konsequenzen. Mit all dem, was da tatsächlich an psychosozialen Komplikationen damit wirklich verbunden ist. Mit allen Behandlungen.“ Wir treffen Margrit Junk wieder. Vor elf Jahren ist auch sie als gesunde Frau zum Screening gegangen. Nach ihrer Krebsdiagnose folgten Operation und Bestrahlungen, unter denen sie lange gelitten hatte. Margrit Junk: „Ich war ständig erschöpft. Ich konnte nichts mehr machen, gar nichts mehr. Ich war einfach nur noch müde. Ich hatte ... also Lebensqualität hatte ich überhaupt nicht mehr. Und das hat mindestens zwei Jahre gedauert.“ Sie dachte, das ist nötig für ihre Heilung. Aber dann, erst nach der Operation, hieß es, dass man bei ihr ein so genanntes In-Situ-Carzinom gefunden hätte, eine Vorstufe von Krebs, noch verkapselt, von denen fast drei Viertel nie zu einem gefährlichen Krebs werden. Gesagt hatte ihr das vorher niemand. Margrit Junk: „Dann begriff ich auch erst, was es hieß, dieses Verkapselte, was das bedeutete. Also ich hätte theoretisch, wenn ich es nicht gewusst hätte, ich hätte alt werden können, mit diesen kleinen Knoten. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, da hätte man auf jeden Fall ... man hätte mir das genau erklären müssen, was da vor sich geht. Dass ich überhaupt eine Möglichkeit gehabt hätte, auch zeitlich zu überlegen, will ich das überhaupt? Habe ich nicht auch genau die gleiche Chance, wenn ich es nicht machen lasse?“ Wir fahren nach Norwegen. Auch hier wird Frauen schon seit fast 15 Jahren Mammographie-Screening angeboten. An der Universität Oslo lehrt Mette Kalager. Früher war sie die Leiterin des norwegischen Mammographie-Screening-Programms, dann stieg sie aus dem Programm aus und wurde zur Kritikerin. Mette Kalager, Universität Oslo (Übersetzung MONITOR): „Die Idee war, wenn wir den Krebs früh erkennen, können wir die Patienten davor bewahren, ihn erst dann zu entdecken, wenn es zu spät ist und er schon zu weit fortgeschritten ist. Die Tumoren also, an denen Frauen sterben können. Als wir das Programm ausgewertet haben, haben wir aber festgestellt, dass es in Norwegen durch das Programm nicht weniger Tumoren im Spätstadium und mit Metastasen gab.“ Findet die Mammographie also die falschen Tumoren? Zu viele harmlose und zu wenig von den gefährlichen, die schnell wachsen, streuen und zum Tode führen können? Diese Zweifel hegt Mette Kalager. Mette Kalager, Universität Oslo (Übersetzung MONITOR): „Wir missbrauchen das Vertrauen, das in uns als Autoritäten im Gesundheitswesen gesetzt wird dazu, Frauen zu überzeugen, etwas zu tun, was ihnen schaden könnte. Ich glaube aber nicht, dass irgendein Politiker den Mut haben wird, das endlich zu beenden, und die Politiker wollen noch nicht mal darüber sprechen.“ Auch der deutsche Bundesgesundheitsminister hat an solcher Aufklärung offenbar wenig Interesse, obwohl das Ministerium das Screening-Programm ausdrücklich mit angeschoben hatte. Stattdessen heißt es, das Screening soll erst mal weiterlaufen und Zitat: „Das Mammographie-Screening wird derzeit im Rahmen eines von der Bundesregierung geförderten (…) Forschungsvorhabens überprüft.“ Hier in Münster wird dieses Forschungsvorhaben durchgeführt. Ob das Screening wirklich noch zusätzlich Leben retten kann, daran kommen Studienleiter Hense inzwischen auch Zweifel. Denn die Therapien bei Brustkrebs sind heute schon so viel besser geworden, dass der Mehrwert der Früherkennung fraglich erscheint. Prof. Hans-Werner Hense, Universitätsklinik Münster: „Hier kommen wir jetzt in einen Bereich hinein, wo insgesamt schon wenige Frauen sterben, weil wir mit therapeutischen Maßnahmen den Tod schon in einem sehr hohen Prozentsatz vermeiden können. Und da muss man relativ viel Aufwand betreiben, um dann noch kleine zusätzliche Effekte zu bekommen.“ Kaum noch Mehrwert durch Früherkennung? Inhaltlich verweist uns das Ministerium auf die Deutsche Screeningstelle. Und die spricht ja von sieben bis neun geretteten Leben in 20 Jahren pro 1.000 gescreenten Frauen. Wie das? Man stütze sich eben auf positivere Studien. Reporter: „Wenn man solche Daten raus gibt, als offizielle Stelle, die das Mammographie-Screening organisiert, dann finde ich das schon ziemlich irreführend.“ Prof. Alexander Katalinic, Universität Lübeck: „Das ist durchaus ... das kann ich verstehen, das ist durchaus irreführend. Aber natürlich müssen die Frauen oder die Bevölkerung auch über andere Studien informiert werden. Und Sie wissen das selber, es gibt eine ganze Bandbreite an Studien, die von keinem Effekt gehen, bis eben hier in diese Richtung sehr großer Effekte.“ Warum erfahren die Frauen aber nichts von den Zweifeln an diesen positiven Studien? Oder von den Ergebnissen der Schweizer Untersuchung? Warum wird die hohe Zahl von Übertherapien verschwiegen, die auch zum Tode führen können? Warum gibt es zu wenig ehrliche Aufklärung? Auf die Ankündigung unserer Berichterstattung hat der Präsident der Bundesärztekammer heute Morgen bereits reagiert. Prof. Frank-Ulrich Montgomery, Bundesärztekammer: „Diese Untersuchung aus der Schweiz muss man sehr, sehr ernst nehmen, und wissenschaftlich validieren, ob die Zahlen alle stimmen und ob sie übertragbar sind auf die deutsche Situation. Und wenn das so ist, dann wird man sich auch in Deutschland fragen müssen, ob das Mammographie-Screening genau das bringt, was wir von ihm erwarten.“ Bericht: Ursel Sieber, Frank Konopatzki, Jan Schmitt WDR-Monitor Nr. 662 vom 19.06.2014

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